Einen Wurm durchbeißen - polnische Autorin Katarzyna Grochola

Jedes Land hat seine großen Klassiker. Autoren von Werken, die von anderen Nationen in ihre Sprachen übersetzt wurden und die inzwischen zum allgemeinen Kulturgut gehören. Man kennt sie. Man hat sie vielleicht auch gelesen. Sonst hat man von ihnen gehört, so daß man Bescheid weiß. Den „Faust“ kennt man auch in Polen und natürlich „Pan Tadeusz“. Sprechen Sie einen Polen auf Mickiewicz an und er wird strahlen, als ob er selbst den großen Nationalepos „Pan Tadeusz“ geschrieben hätte. Aber Vorsicht! Fragen Sie lieber nicht genauer nach, auch wenn der Inhalt Sie wirklich interessiert. Wie ist die Geschichte von Herrn Tadeusz? Die hat man in der Schule gelesen. Die kennt man natürlich. Aber wie ging sie nochmal?...

Wenn Sie einen durchschnittlichen Polen/Polin in Verlegenheit bringen wollen, fangen Sie ein Gespräch über „Pan Tadeusz“ an. Wenn Sie etwas über Bücher, die heute in Polen wirklich gelesen, über die Autoren, die heißgeliebt und verehrt werden, auf deren neue Bücher ungeduldig gewartet wird, erfahren wollen, fragen sie lieber nach Katarzyna Grochola. Sie ist zur Zeit polnische Joanne K. Rowling, polnischer Henning Mankell oder man könnte sie auch polnische Bridget Jones nennen. Wenn man nach Grochola fragt, bekommt man mit Sicherheit eine Antwort, und wenn Sie den Inhalt ihrer Bücher spannend (und vielleicht mit persönlichen Ergänzungen dazu) erzählt bekommen wollen, fragen Sie am besten eine Frau.

Von der Literaturkritik in die Reihe der „niedrigen“ Literatur eingeordnet, erzielen die Bücher von Grochola in Polen inzwischen hohe Auflagen. Einige von ihnen wurden ins Deutsche, Russische, Tschechische, Litauische, Bulgarische und Rumänische übersetzt.

Das Debüt Grocholas im Jahre 1997 mit ihrer ersten längeren Erzählung „Przegryzc dzdzownice“, war gleichzeitig der Durchbruch der Autorin. Die Geschichte ist banal: aus der ich-Perspektive erzählte Geschichte einer Frau, die von ihrem geliebten Mann plötzlich verlassen wird. Viele sich schnell wechselnde Gefühle, Stimmungen wie Haß, Entäuschung, Hoffnung, Sehnsucht, Erinnerungen werden ergreifend und gleichzeitig poetisch und leicht beschrieben und das Buch gibt den Zustand der Protagonistin lebhaft, glaubhaft und fern von Klischee wieder. Es erlaubt Momente der Identifikation (Partnerkrisen, Trennungen, wer kennt sie nicht) und es sorgt zugleich immer wieder für Überraschungen. Damit hält auch der provokante Titel "„Przegryzc dzdzownice“ („Einen Wurm durchbeißen“), was es verspricht. Das Tragische, Komische, Peinliche, Leichte und Liebevolle existieren bei Grochola nebeneinander.

2001 begann Grochola eine Trilogie „Zaby i Anioly“ („Frösche und Ängel“). Der erste Teil „Nigdy w zyciu“ („Die himmelblaue Stunde“) wurde sofort ein Bestseller. Die Heldin Judyta ist eine Frau, die „mehr als ein paar Jahre über 30“ im Gepäck hat. Sie ist Mutter einer Jugendlichen und Freiberuflerin, die ihr Geld damit verdient, Leserbriefe mit guten Ratschlägen für richtiges Leben an Leser- und vor allem Leserinnen einer Frauenzeitschrift zu schreiben. Es ist leicht, gute Ratschläge zu geben, solange man selbst ein vielleicht nicht sehr glückliches aber doch geordnetes Leben hat. Aber – und das weiß die Autorin – es gibt kein Leben ohne Katastrophe, Probleme werden niemandem erspart. Auch Judyta muß ihre bitteren Erfahrungen machen. Eines Tages packt der Ehemann seinen Koffer und geht zu einer Jüngeren. Kurz danach erklärt er einer verwirrten und unglücklichen Judyta, daß die gemeinsame Wohnung eigentlich ihm gehört und sie zusammen mit ihrer Tochter drei Monate Zeit hat (er ist ja kein Unmensch), um umzuziehen. Die Katastrophe ist perfekt. Grochola kennt das Leben und versucht nicht ihre Leser vor Problemen zu schützen, indem sie in ihren Büchern eine heile Traumwelt zum Ablenken vormacht. Sie denkt das Schlimme zu Ende und dann versucht zu zeigen, wie man die Probleme packen könnte und daß man die Hoffnung nie aufgeben soll. Die Zukunft kann auch glückliche Ereignisse mit sich bringen. Es dauert eine Weile bis Judyta den Kopf heben kann, bis sie bereit ist, vom Neuen anzufangen. Sie hat Freunde, wenn auch nicht viele, die sie unterstützen und – auch diese Lebensweisheit ist Grochola bekannt – manchmal hilft das, was zuerst als großes Unglück aussieht, etwas viel Besseres aufzubauen. Natürlich ist Judyta am Ende des Buches nicht jünger, reicher höchstens um einige Lebenserfahrungen und, obwohl gerade glücklich verliebt, weiter besorgt um ihre Zukunft.

Judyta und ihr Leben weckten in Polen sofort Sympathie und das Buch gewann viele Leser. Auch heute, nach der Fortsetzung der Geschichte in „Serce na temblaku“ 2002 („Allererste Sahne“) und in „Ja wam pokaze“ 2004, scheinen viele immer noch nicht genug davon bekommen zu haben. Deshalb ist das Erscheinen der weiteren Teile nicht ausgeschlossen. Der kluge dramatische Aufbau der Bücher macht es auf jeden Fall möglich. Das Leben ist ein Fluß und obwohl der Leser in drei Teilen viele Peripetien und Ereignisse aus Judytas Leben erfahren hat, immer noch ist der Schlußpunkt nicht erreicht, die Stabilität ist noch nicht eingetroffen. Judyta hat zwar einen neuen Mann gefunden, der sie liebt, aber werden sie wirklich für lange zusammenbleiben? Sie hat inzwischen einen festen Arbeitsvertrag bekommen, aber die Zeitschrift ist in Schwierigkeiten und vielleicht müssen bald alle Mitarbeiter einen neuen Job suchen. Das Abitur der Tochter steht vor der Tür und Judyta macht sich Sorgen, ob Tosia es schafft, ein glückliches Erwachsenenleben aufzubauen.

Es bleibt zu hoffen, daß Grochola das Leben einer Frau mit „mehr als ein paar Jahren über 40 (und vielleicht auch über 50)“ im Gepäck genauso spannend wie bis jetzt darstellen kann. Viele ihrer Fans werden sich darüber freuen. Wenn Sie aber Katarzyna Grochola und ihre Heldin noch nicht kennen und sie für sich entdecken wollen – mein Tipp: fangen Sie mit „Nigdy w zyciu“ („Die himmelblaue Stunde“) an. Und das am besten, wenn Sie schlechte Laune haben. Oder wenn Sie etwas über den polnischen Alltag, polnische Frauen und polnischen Humor erfahren wollen.

Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 18

K. Grochola „Die himmelblaue Stunde“, 2003 Heyne Bücher Nr.13782

die Fortsetzung:

K.Grochola „Allererste Sahne“, Heyne Bücher Nr.58003 erscheint im März 2005