Vorsicht: Etikettenschwindel
Das Schöne an der Globalisierung ist, dass man dank ihrer alles überall bekommen kann. Das Traurige an diesem Phänomen ist, dass uns dies nicht mehr auszureichen scheint. Literatur ist Kunst, in der heutigen Zeit vor allem aber auch Geschäft. In den Zeiten der Globalisierung funktioniert der Kulturbetrieb genauso wie jeder andere Wirtschaftsbereich. Und so wie eine Rollex die Rollex-Imitation mit sich bringt, reicht es heute nicht mehr, Harry Potter oder die Krimis von Henning Mankell in alle Sprachen der Welt zu übersetzen. Jedes Land will seinen eigenen Harry Potter, Superman oder Kommissar Wallander haben. Egal wie schlecht diese Imitationen sind. Diese Nachahmung-Mentalität ist bedauerlich, aber noch nicht schlimm. Schlimm wird es erst, wenn das Ergebnis nicht so recht klappt und man versucht, dies mit Etikettenschwindel zu vertuschen. “The show must go on.“. Ob das gut gehen kann? Im Fall des Breslauer Autors Marek Krajewski ist es leider nicht gut gegangen.
In den polnischen Zeitungen und in dem vor kurzem in Deutschland erschienenen „Literarischer Reiseführer Breslau“ wird der Autor als Erfinder einer neuen literarischen Gattung, eines Stadtkrimis, als Stadtkenner und Schilderer von Breslau in den 20-er und 30-er Jahren des 20.Jh. gelobt. Das macht Lust auf die Bücher (inzwischen gibt es drei Teile auf dem Markt, der vierte Band wird gerade vorbereitet), das weckt Interesse nicht nur bei Krimiliebhabern, sondern auch bei Breslauern jeglichen Alters und bei Breslau-Fans.
Die Zuschreibungen an sich stimmen: Krajewski schreibt Krimis, die alle in seiner Geburt- und Heimatstadt, Breslau/Wroclaw, spielen und die Zeiten des Geschehens sind die in Deutschland so spannenden Zeiten der 20-er und 30-er Jahre. Es stimmt ebenfalls, dass der von Krajewski erschaffene Kriminalkommissar Eberhardt Mock alle seine Fälle in dieser geheimnisvollen Stadt erlebt und dass Strassen, Plätze und wichtige Bauten in das Geschehen eingebunden sind. Krajewski ist also ein Erfinder, wenn nicht der literarischen Gattung des Stadtkrimis schlechthin, so doch der Breslau-Krimis. Leider wird der Inhalt von Krajewskis Büchern durch dieses attraktive Etikett nicht besser als er ist. Und für viele Leser zum Ärgernis oder zur Enttäuschung. Wie so oft steckt auch hier der Teufel im Detail.
Die Idee für eine Krimigeschichte in Breslau ist an sich spannend. In „Tod in Breslau“, dem ersten Buch von Krajewski, hat der schon etwas ältere, angesehene Kommissar Mock einen Doppelmord aufzuklären. Die Opfer sind: eine junge Baronin und ihre Gouvernante. Der Vater der jungen Frau, Baron von
der Malten, der mit Mock von den Studienzeiten an und durch die gemeinsame Mitgliedschaft bei den Freimaurern befreundet ist, wünscht sich den jungen Kommissarassistenten Anwaldt aus Berlin als Verstärkung bei der Mordaufklärung.
Bei der stark auf Spannung (Flucht, Schlägereien, Nazi-Bedrohungen, Folterszenen, Bordell- und Morphiumepisoden) ausgerichteten und oft verwirrenden Handlung besteht zu 80% aus Beschreibungen wo und womit sich Anwaldt betrank, was genau er oder Mock wo gegessen haben und welche Zigaretten/Zigarren (die breite Palette der Vorkriegszeit-Marken ist dem Autor geläufig) sie geraucht haben. Weitere 10% stellen Anwaldts Abenteuer dar: gefoltert durch die SS, geschlagen durch private Wächter, überfallen durch Banditen/Mörder. Diese sind nach dem platten Schema „er wurde fast erschlagen, aber macht weiter“ geschildert. Weitere 5% erzählen vom Mocks Privatleben. Die restlichen 5% machen die eigentliche Kriminalgeschichte aus.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass Krajewskis Buch aus einer Mischung reiner Phantasie, Elementen wahrer Ereignisse der Jahre 1933-45 (die allerdings nur im Gröbstem stimmen) und historischen Unwahrheiten besteht. Für die mit deutscher Geschichte der NS-Zeit weniger vertrauten Leser sind diese oft gravierenden Unterschiede kaum auszumachen. Krajewski schreibt beispielsweise von einem KZ-Lager 1933 in Breslau, von offenen Massendeportationen der Juden aus der Stadt in demselben Jahr, von den 1933 öffentlich herausgegebenen Büchern mit Judenregister, die jedem in Deutschland ermöglichten persönliche Angaben (auch nach einem eventuellem Identitätswechsel) und Adressen jedes Breslauer Juden zu erfahren. Diese in Wirklichkeit natürlich nie existierenden Bücher sollten nach Krajewski für die Deportationen der Juden gedient haben.
Ebenso gefährlich sind Beschreibungen, die fürs Erzeugen oder den Erhalt von Vorurteilen sorgen. Ein Jude wird zum Verdächtigen, weil er Epileptiker ist und mit Reptilien handelt. Darüber hinaus wird ihm ein ungesundes Verhältnis zu seiner Tochter, bei dem vieles im Unklaren gelassen wird, angelastet. Eine andere Episode im Zug hält einen Passagier „mit semitischen Zügen“ fest, der gefragt, ob ihm ein auf Griechisch gedruckter „König Ödipus“ von Sophokles gehört, ein entsetztes „um Gottes Willen“ hervorstößt. Und wenn arme junge Mädchen Prostituierte werden, sind sie immer noch nett, wenn dieses Schicksal aber einer schönen Jüdin widerfährt, wird sie gleich auch zu einer Morphinistin.
Die eigentliche Kriminalgeschichte lässt sich ganz grob folgendermaßen zusammenfassen: zuerst wohnt der Leser der Suche nach dem Mörder zweier Frauen bei, danach begleitet er die Fahndungen weiterer Morde und schließlich lernt er den Mörder kennen und darf dessen wenig glaubhaftes Motiv erfahren (ein Rachemord, der nach inzwischen über 700 vergangenen Jahren erfüllt werden will). Und da dieses für den Autor in Hinsicht auf Spannung und Reichtum der Geschichte offensichtlich immer noch nicht ausreicht, muss sich Anwaldt als unehelicher Sohn des Baron von der Malten erweisen und als Strafe für die Vernachlässigung den Vater ermorden. Und da der kinderlose (und übrigens auch morallose) Mock inzwischen an seinem adeligen Assistenten Gefallen findet, steckt er ihn in eine psychiatrische Anstalt, um ihn vor dem Gefängnis zu schützen. Dort überlebt Anwaldt weitere Nazi-Zeiten samt dem Krieg und die ersten Nachkriegsjahre.
Es ist überflüssig zu sagen, dass auch das noch nicht das Ende der Geschichte ist. Mock überlebt die Nazi-Zeiten als Offizier der Abwehr, wird zum Helden bei der Bombardierung von Dresden, danach geht er zur Stasi, knüpft dort Kontakte zur CIA und, als sich die Gelegenheit ergibt, befreit er (nach 20 Jahren) Anwaldt aus der Psychiatrie. Er flieht mit ihm in die USA, um dort eine Rechnung mit dem Mann zu begleichen, der 1933 einen Mörder auf Anwaldt ansetzte. Und da Anwaldt nach Elektroschocks und anderen Behandlungsmethoden in der Anstalt richtig gut erholt und entspannt ist, und darüber hinaus noch genug Zeit hatte, um autodidaktisch perfekt Althebräisch zu lernen, können die beiden Männer einem verräterischen Gelehrten und Päderasten seine alten Schwindeleien beweisen.
Das Buch von Krajewski ist unseriös und für gute Krimis gewohnte Leser kein Genuss. Hinzu kommt, dass man durch Werbung für das Buch getäuscht wird. Gemeint sind die schon angesprochenen „Etiketten“. Auch gern hinzugefügte weitere Informationen (z.B. dass Krajewski einen Lehrstuhl für die klassische Philologie inne hat, dass er für sein Buch über Verbrechen und Breslaugeschichte in Archiven und Museen in Wrocław und Berlin recherchierte, dass er den „Pass der Politik“, eine in Polen bekannte Auszeichnung für Kulturschaffende besitzt) wecken Erwartungen, die die Bücher nicht einhalten können. Mit dieser Werbestrategie sind vermutlich einmalig beeindruckende Verkaufszahlen für Krajewskis Bücher zu erzielen, aber auf längere Sicht ist der dabei entstehende Seriositätsverlust nicht wieder gutzumachen. Wenn man allerdings die Messlatte niedriger legt, nicht bei der anspruchsvollen Literatur und einer neuen literarischen Gattung, sondern bei den Groschen-Heften, ist das Buch von Krajewski im Vergleich mit denen natürlich hochkarätige Literatur. Und da wir alle wissen, auch die Groschen-Hefte haben ihre Millionen Leser, wäre es bestimmt sinnvoller, ehrlicher und ebenso gewinnbringend, „Tod in Breslau“ und weitere Bücher Krajewskis richtig einzuordnen. Auch so werden sie viele Leser finden.
Um es deutlich zu sagen: es ist keine Schande, keinen polnischen R. Chandler, keinen C. Doyle, keinen H. Mankell oder G. Simenon zu haben. Nehmen wir diesen Druck, sie zu schaffen, von unseren Schultern. Gute Übersetzungen reichen. Und haben wir keine Angst: auch in Zeiten der Globalisierung hat polnische Literatur genügend viel zu bieten.
Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 34/35
Marek Krajewski: Tod in Breslau, btb Verlag, 2002