Frühstück mit Früh-Stücken
Veranstaltungsreihe am Deutschen Theater Berlin
Am liebsten würde man den Tipp für sich behalten. Aus Eigennutz. Um in Zukunft den Erhalt einer Karte für sich selbst nicht zu gefährden, da dieses schon jetzt nur dann möglich ist, wenn man sich beeilt. Die Kapazität des Saals ist nämlich nicht besonders groß. Etwa 120 Leute finden darin Platz. Die Sitzplätze sind auch jetzt schon immer belegt, obwohl die Veranstaltung zurzeit noch eher als ein Geheimtipp gilt.
Die Rede ist von „Früh-Stücken“, einer etwa zweimonatlich im Saal des Deutschen Theaters stattfindenden Informationsveranstaltung, die über die nächsten Premieren auf den drei Bühnen des Hauses und manchmal auch an anderen Orten in Berlin Auskunft gibt. Bei diesen Treffen sonntags um 11Uhr ist es tatsächlich möglich, im DT zu frühstücken, jedoch ist es nicht die leibliche, sondern die geistige Speisekarte, wegen der man so gern kommt. Die ursprüngliche Idee war, ein Meeting ins Leben zu rufen, bei dem Freunde des Theaters Einblicke in die Tätigkeit des Hauses bekommen und wo sie einiges mehr erfahren als das, was im öffentlichen PR-Material zu finden ist oder mehr als die Endergebnisse der Arbeiten selbst, die schon fertigen Inszenierungen auf der Bühne, zu sehen bekommen. So bestehen diese Treffen aus kurzen inhaltlichen Einführungen in die gerade inszenierten Stücke, aus „Kostproben“ von ihnen in Form von Lesungen oder Darstellungen einiger Szenen, aus Gesprächen mit Autoren (wann trifft man sie schon?) und Regisseuren (wann sieht man sie halbprivat so nahe), die sich gern dafür gewinnen lassen, sich über das konkrete Stück hinaus, über eigenes Leben, politische Meinung, Erfahrungen mit dem Theaterbetrieb und anderes zu äußern. Sehr schön an den konkreten Vorstellungen des Kommenden ist, dass man sich jedes Mal genau überlegt hat, wie man das sich nähernde Ereignis angeht. Bei bekannten Stücken wird man nicht mit ihren Zusammenfassungen konfrontiert, sondern man bekommt zusätzliche Aspekte der Theaterarbeit geboten - ein Gespräch mit dem Regisseur wie im Falle der „Weber“, wo Michael Thalheimer u.a. seine über mehrere Stücke hinweg andauernde Auseinandersetzung mit Hauptmann reflektierte. Bei noch wenig bekannten Dramen wie z.B. Nis-Memme Stockmann’s „Kein Schiff wird kommen“ wird das Gespräch zuerst auf das Thema des Stückes geleitet. Über die Projekte des Jungen DT wird durch Präsentation von Fragmenten berichtet, so dass man mit etwas Wissen „aus erster Hand“ entscheiden kann, ob man nicht doch Interesse für den Abend entwickelt. Überhaupt den Schwerpunkt auf die Inszenierungen zu legen, die man durch bloßes Studieren des Monatsprogramms leicht übersehen könnte, wenn einem beispielsweise weder der Autor noch der Titel etwas sagt, ist ein gut überlegtes Vorgehen bei diesen Treffen.
Es ist längst nicht mehr nur eine Veranstaltung für den engen Freundeskreis des DT, sondern inzwischen hat es sich bei dem an Theater interessierten Publikum Berlins, Kulturschaffenden und Fachkollegen, Familienmitgliedern und Mitbegleitern der Teilnehmer von Junges DT-Projekten und vereinzelten Journalisten herumgesprochen, dass diese wunderbar öffentliche aber nicht offizielle Veranstaltung zu den neuen und wieder sehr gelungenen Ideen des DT gehört. Natürlich bringen Treffen dieser Art für ihre Macher auch Gefahren mit sich, etwa wenn man eine Inszenierung eines gerade für das DT neu geschriebenen Theaterstückes sehr interessant findet, man sich gleich auf sie freut und den Termin im Kalender notiert, um dann festzustellen, dass sie doch nicht stattfinden wird. Solche Überraschungen und plötzliche Veränderungen der ursprünglichen Pläne werden natürlich stark wahrgenommen, aber soviel Flexibilität müssen beide Seiten zeigen und auch mal die Tatsache akzeptieren, dass ja im Theater nicht immer alles wie geplant läuft. Eine solche Offenlegung seines Handelns darf sich das DT sicherlich leisten.
Zu den großen Entdeckungen des letzten Frühstücks im April gehörte für einen Teil der Anwesenden mit Sicherheit „ÜberLeben“ von Judith Herzberg. Lyrik bewanderte Leser werden den Namen der Autorin gekannt haben, aber als Dramatikerin ist sie in Deutschland eine wirkliche Entdeckung, was sich bereits gleich nach Lesung einiger Szenen des Stückes sagen lässt. Warum sie auf den deutschen Bühnen bisher so wenig bekannt ist, konnte die zum Gespräch eingeladene Verlegerin Dr. Maria Müller-Sommer auch nicht erklären. Man konnte jedoch von ihr nicht nur über die Schriftstellerin und Person Judith Herzberg viel Interessantes erfahren, sondern auch inspirierende Gedanken zum Thema: jüdische Figuren also jüdisches Schreiben? (Herzberg selbst versteht sich keinesfalls als jüdische Autorin) hören und danach zu einem anderen, durch Frau Sommer für Deutschland entdeckten, in Ungarn geborenen Schriftsteller George Tabori und seinem ersten Inszenieren von „Kannibalen“ in Berlin, das der Verlegerin zu verdanken war, gelangen. Von dort aus war es nur ein kleiner Schritt zu der ebenfalls von Sommer vertretenen Christa Wolf und zu den eigenen Erinnerungen des in Berlin geborenen 12-jährigen Mädchens Maria Janicki, das an den Auftritten zu den Olympischen Spielen 1936 teilnahm sowie ihrer Betrachtung der entlegenen Zeiten aus der heutigen Perspektive einer erfahrenen Frau. Dass das Gespräch mit der Verlegerin so höchst spannend war, liegt natürlich an ihrer Persönlichkeit und an dem interessanten Leben der großen Dame des Verlagswesens. Aber die Idee sie einzuladen und es auch richtig zu organisieren, ist dem DT selbst zu verdanken.
Es ist nicht nur das Erkennen, dass auch in einer Großstadt (oder gerade wegen der städtischen Größe und Anonymität ) durchaus ein Bedürfnis nach publikumsnahem Theater besteht, sondern auch diese Idee bei mehreren Veranstaltungen so gelungen und im Detail so sorgfältig überlegt durchzuführen, ist ein großer Gewinn für Berlins Kulturinteressierte. Neues Theater des heutigen Tages auf eine neue Art zu machen, kann unterschiedliche Formen haben. DT hilft auf einfallsreiche Weise, sie zu entdecken. Die „Früh-Stücke“ sind ohne Zweifel ein sehr gelungenes Beispiel.
Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 77