Blick vom Außen
Ein Kommentar zum Theatertreffen
Das Berliner Theatertreffen ist ein Ereignis, das auch im Ausland auf Interesse stößt. Die Perspektiven, aus denen man dabei schaut, sind andere: sicherlich oberflächlichere und anders von Land zu Land. Was Polen angeht, konnte man diesmal gleich in den ersten Tagen Einiges finden, was berichtenswert war. So ist beispielsweise das Eröffnungsstück „Nathan der Weise“, das in Deutschland zum Kanon gehört, in Polen kaum bekannt. Darüber dort jetzt gehört zu haben, ist sicherlich aus vielen Gründen ein Gewinn, u. a. weil man gerade in Zeiten so vieler, nahe stattfindender Kriege Versöhnungsgedanken und aufs gegenseitige Achtung-Setzen besonders braucht. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch, dass das von Lessing, einem deutschen Künstler, erschaffene Werk Ideen enthält, die das in Polen immer noch allgegenwärtige und weiter tradierte Bild von Deutschen als Menschen mit faustischen Zügen etwas zu relativieren hilft. (Goethes großartiger „Faust I“, mehr oder weniger allgemein bekannt, dient leider seit Jahren dazu, ein einseitiges Bild von Deutschen zu verfestigen.)
Was weiter aus polnischer Perspektive auffällt, ist, dass in diesem Jahr mehrere Inszenierungen das Thema des Krieges in verschiedenen Formen umkreisen. Neben „Nathan der Weise“ gehören „The Silence“ und „Bucket list“ dazu. Der Krieg scheint für Theaterschaffende in Deutschland eine wichtige Rolle zu spielen, und dass Theater ihnen den Raum dafür geben, ist auch für das Publikum ein Gewinn. In Polen sieht man zurzeit vergleichsweise wenige Inszenierungen, die sich damit auseinandersetzen. Möglicherweise hängt es mit den Jahren der PiS-Regierung zusammen, der Zeit in der man sich vor allem auf innenpolnische Angelegenheiten konzentrierte, auch der oft zu findende Rückzug ins Private rührt wohl daher. Festzuhalten ist, dass zurzeit in Polen das Weltgeschehen im Theater aus den Augen gelassen wird, der Blick auf solche Themen wäre auch dort wünschenswert.
Interessant ist auch wahrzunehmen, dass man in Deutschland das großartige Schauspielertheater wieder mehr ins Zentrum stellt („Macbeth“) und dass man sich dabei von dem von Frank Castorf erfundenem Schauspielstil entfernt. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Theater von Frank Castorf beeinflusste schon seit den 1990-er Jahren ganze Generationen von polnischen Regisseur:innen und wird dort sehr geschätzt. Inzwischen hat man aber ein etwas verengtes Bild von der deutschen Theaterszene, da man diese Stilrichtung als für überall in Deutschland vorherrschende Theaterform hält, ergänzt höchstens durch performative Konzeptionskunstarbeiten. Inspirierend kann ebenfalls sein zu erfahren, wie inklusive Projekte als hochkarätige künstlerische Theaterarbeiten für alle - und nicht als vor allem soziale Projekte - aussehen können („Riesenhaft in Mittelerde“ von Züricher Schauspielhaus & Partnern).
Polnischen Dramatiker:innen kann eine moderne, eigenständige Auseinandersetzung mit antiken Stoffen („Laios“ von Roland Schimmelpfennig) neue Impulse für ihre Texte geben, auch das Aufführen zeitgenössischer Dramen auf großen Bühnen wird in Polen kaum umgesetzt, deutsche Beispiele könnten helfen. Auf weitere Entdeckungen in den nächsten Tagen des Theatertreffens darf man gespannt sein. Es bleibt aber schon jetzt festzuhalten: Es wird Inszenierungen geben, die aus kleineren Theaterhäusern stammen. Solche Einladungen sind wiederum beim Warszawskie Spotkania Teatralne (Warschauer Theatertreffen), die demnächst anfangen, schon seit Jahren der Fall.