Bangen und Hoffen

Polnisches Theater nach 8 Jahren Regierung der rechtskonservativen PiS-Partei

     Blickt man auf die polnische Theaterlandschaft der vergangenen acht Jahre der PiS-Regierung, tauchen skurrile Szenen und befremdliche Bilder vor dem inneren Auge auf: Auf der Bühne eines Theaters steht der Intendant und verkündet seinem Publikum lauthals, dass es nicht willkommen ist und schnellstens nach Hause gehen soll. In den Vitrinen eines anderen Theaters, hängen da, wo sonst die aktuellen Spielpläne sind, nur noch schwarze Plakate. In einem weiteren Theater wird jeden Tag nachgeschaut, ob sein Intendant überhaupt noch im Amt ist. Wieder anderswo wird ein Theatergebäude von „Rosenkranz-Kreuzzüglern für das Vaterland“, einer extremistischen religiösen Gruppierung belagert, so dass das Publikum das Haus nicht betreten kann. Und schließlich: Die oberste Beamtin der Bildungsbehörde einer Woiwodschaft (wie in Polen Verwaltungsbezirke einer Großregion heißen) weist alle Lehrerinnen und Lehrer der Region an, eine Theaterinszenierung mit ihren Schulklassen NICHT zu besuchen. Die Pointe: Sie selbst hat die Inszenierung gar nicht gesehen.

Was hat das alles zu bedeuten? Was ist im polnischen Theater los? Hier kommen ein paar Antworten.

     Im Oktober 2015 gewann die konservative PiS-Partei die Wahlen in Polen. Seitdem versucht sie, im Land eine neue Kulturpolitik durchzusetzen. Diese Politik soll sehr „polnisch“ sein, alte Traditionen beleben und auf Vaterlandsliebe, katholische Religiosität, patriarchal geprägte Familientreue, Ahnenkult und Tugendhaftigkeit setzen, die als „wichtigste polnische Werte“ behauptet werden. Das neu gebildete Narrativ versteht sich als Gegensatz der – wie es in der rechten Presse stets hieß - bisherigen Spaßkultur mit ihrer westlichen Porno- und Gendermanier, die den Hass auf die Identität der polnischen Nation schüre, verdorben, dekadent, links versifft sei. Und europäisch, also fremd. Man war bei der Wortwahl nicht zimperlich.

     Entschlossen begann die neue Regierung damals sofort, die Theaterszene umzukrempeln. Dabei ging man von der Überzeugung aus, dass es in Polen viele großartige Künstler und Kulturleiter gibt, die rechtskonservativ denken. Der einzige Grund, dass man diese ausgezeichneten rechtskonservativen Kunstschaffenden bisher nicht kennenlernen konnte, lag aus Sicht der neuen Regierung in der Diskriminierung und Missachtung dieser Gruppe durch die bisher tätigen Kunstkreise und die Vorgänger-Regierung (PO). Bei der „gute Wende“, wie der Regierungswechsel stets gelabelt wird, wollte man diesem Personenkreis nun schnell große Entfaltungsmöglichkeiten geben.

     Im Theaterbereich fielen der Politik als Erste zwei führende, international bekannte Theater zum Opfer: das Teatr Polski we Wrocławiu in Breslau/Wrocław und das Narodowy Stary Teatr in Krakau/Kraków. Beide Bühnen waren seit langem „Visitenkarten“ Polens im Ausland, initiierten im Land wichtige Debatten und beschritten neue künstlerische Wege. Sie zogen verschiedenste Publikumsschichten an und waren in ihren Städten jeweils ebenso lebhafte wie tonangebende kulturelle Zentren. Trotz der Warnungen von Fachleuten, Proteste seitens der Zuschauer, aus den Ensembles und weiten, auch internationalen, Kreisen von Kunstschaffenden und Kulturleitern wurden durch das neue Kulturministerium für beide Theater in kurzer Zeit neue Intendanten durchgesetzt. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es sich in beiden Fällen um katastrophale Fehlentscheidungen handelte. Die Bilanz: Zerstörung zweier wichtiger Theater, große finanzielle Verluste, vergraultes Publikum - in Breslau wurden die alten Polski-Besucher*innen von dem Intendanten höchstpersönlich nach Hause geschickt. Anschließende Versuche, an beiden Häusern mit Hilfe von Nachfolgeleitern und erneuerten Teams wieder etwas aufzubauen, um aus der Bedeutungslosigkeit herauszukommen, in die die beiden Theater stürzten, tragen bisher keine Früchte.

     Nach dieser doppelten Blamage änderte das Ministerium seine Taktik. Man entschied sich, stärker im Hintergrund zu agieren. Neue Methoden, quasi aus dem Off die Strippen zu ziehen, wurden etabliert: durch den Aufbau von Drohkulissen (sofortige Entlassungen bei nicht konformem Benehmen möglich), Versuchen der programmatischen Einmischung, der Schaffung einer grundsätzlichen Atmosphäre des Misstrauens, das Fördern von Eifersucht und Säen von Zwietracht sowie die Stiftung von Chaos. Diese Strategie wurde mit einem weiteren, sehr wirksamen Mittel verbunden: der Ausübung von finanziellem Druck. Ein gutes Beispiel für diese Strategie ist die – noch nicht abgeschlossene - Geschichte um das Teatr im. Słowackiego in Krakau.

     Dieses Haus, das seit 2016 von Krzysztof Głuchowski geleitet wird, ist neben dem Narodowy Stary Teatr das größte und bekannteste, aber auch künstlerisch anspruchsvollste Theater in Krakau. Im Herbst 2021 gelang dem Theater mit einer Inszenierung der Regisseurin Maja Kleczewska ein ganz großer Wurf: das bedeutende Drama „Dziady“(„Totenfeier“) des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz (1798-1855) zog landesweit Aufmerksamkeit auf sich. Anders als vom Dichter vorgesehen, spielten jetzt Frauen die Aufständischen, die für die Freiheit und Unabhängigkeit Polens kämpfen. Auch der Hauptprotagonist des Stücks war bei Maja Kleczewska nun eine Frau. Weitere Figuren, katholische Priester etwa, wurden zwar weiterhin von Männern gespielt, es wurden ihnen jedoch heutige Vergehen katholischer Priester hinzugefügt. Die Inszenierung war ein Erfolg bei Publikum und Theaterkritik, und ein finanzieller obendrein. Dies aber sollte dem Theater und vor allem seinem Intendanten zum Verhängnis werden. Da sich der Intendant weigerte, auf Druck der Woiwodschaftsbehörde (von PiS besetzt) und des Kulturministeriums die Inszenierung vom Spielplan zu nehmen, erfand man einen Vorwand, ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einzuleiten.

     Parallel zu diesem Verfahren hat das Kulturministerium das Theater in eine schwierige finanzielle Lage gebracht. Da man mit dem Theater bis Herbst 2021 durchaus zufrieden war, beschloss man, es in den Nationaltheater-Status zu erheben, was eine bessere Stellung und sicherere Finanzierung bedeutet hätte. Nach der „Dziady“-Premiere hieß es dann plötzlich, dass der bereits unterschriftsreife Vertrag doch nicht zustande kommen würde. Angeblich enthielt er Formfehler, die ganze Angelegenheit sei dadurch hinfällig. Dabei wurden alle Unterlagen vorher mehrfach von verschiedenen Behörden überprüft. Da das Theater jedoch mit dem Geld fest gerechnet hatte, beantragte es keine weiteren Förderungen, um nicht in Doppelfinanzierungsschwierigkeiten zu geraten. Das finanzielle Loch, das sich nun auftat, wurde für das Theater existenzbedrohend.

     Das Amtsenthebungsverfahren läuft jetzt seit über 500 Tagen. Triftige Gründe für eine sofortige Absetzung des Intendanten scheint es nicht zu geben. Aus inoffiziellen Quellen heißt es sogar, das zuständige Gericht hätte die Entlassung abgewiesen. Offiziell verkündet wurde jedoch bisher nichts. Trotzdem hat die Behörde der Woiwodschaft Kleinpolen Mitte Juli ein Neuberufungsverfahren in Gang gesetzt. Die Bewerbungsfrist beträgt etwa zwei Monate. Von den Kandidaten erwartet man einen genau ausgearbeiteten Plan der Finanzierung des Theaters, ein Programm seiner künstlerischen Weiterentwicklung und den fertigen Spielplan für zumindest drei Saisons beginnend ab dem 31. Oktober 2023, dem Tag, an dem der neue Leiter das Amt übernehmen soll.

     So ein Vorgehen mag aus der Auslandsperspektive fremd erscheinen, da die Handlungsspielräume dabei sehr ausgeweitet und viele Standards nicht eingehalten werden. In Polen hat man es seit dem Herbst 2016 schon häufiger erlebt. Kurzfristige Absetzungen von Leitern wichtiger kultureller Einrichtungen unter den vorgeschobenen oder nichtigen Vorwänden wurden vom Kulturministerium praktiziert. Die neuen Direktoren, von oben eingesetzt, waren keine hervorragende oder zumindest fachkundige Leitungstalente, was den Institutionen schadete, den Entscheidungsträgern aber wohl nicht zu stören schien. Manche der geschassten Führungskräfte haben vor Gericht geklagt und Recht bekommen, was stets große Entschädigungssummen kostete. Das Geld dafür kommt aus dem Kulturetat.

     Geld für die Kultur unter der PiS-Regierung ist grundsätzlich ein interessantes Thema. Seit PiS regiert, gibt es so viel Geld für die Kultur wie nie zuvor (mehr als das doppelte Budget als zu Zeiten der PO-Vorgängerregierung). Dieses Geld wird allerdings überwiegend für eine bestimmte Art der Kultur verwendet. Kulturminister Gliński verkündete dieser Tage stolz, dass, als er sein Amt übernahm, 30 Museen in Polen einen Nationalstatus hatten und damit vom Kulturministerium mitfinanziert würden. Heutzutage seien es 60 museale Einrichtungen. Die meisten von ihnen sind auf stark nationalistisch gefärbte und extrem auf Polen fokussierte historische Themen spezialisiert. Bei den anderen künstlerischen Einrichtungen ist die Zahl von 21 auf 42 gestiegen. Darunter sind einige Opernhäuser, Philharmonien, Volkstanzensembles, ein Puppentheater und ein paar Sprechtheater.

     Zwar bemühen sich weitere Theater, diesen sehr lukrativen Titel zu bekommen, der Nobilitierung und finanzielle Sicherheit bringt, aber eine Chance haben vor allem die, bei denen die Leitung eine national-konservative Haltung öffentlich verkündet und ein entsprechendes Programm (gern mit religiösen Elementen) anbietet. So wurde vor kurzem das Teatr im. Osterwy in Lublin hinzugenommen. Um die Bedeutung einer Erhebung in den Nationalstatus zu stärken, wurde als größeres Vorzeigeobjekt auch das Teatr Polski in Warschau/Warszawa aufgenommen. Das Słowacki-Theater hätte es auch fast geschafft. Aber wie schnell sich die Herrengunst ändern kann, wenn man – ungeschriebene – Bedingungen des Ministeriums nicht beachtet, hat man bereits gesehen. Was das Teatr Polski in Warschau angeht, so pflegt es ansehnlich die niveauvolle Kunst von gestern (viele klassische Inszenierungen von Molière, Goldoni, Tschechow, Sophokles mit einem mittleren bis guten Regie-Standard) und ist beim Ministerium bisher nicht negativ aufgefallen, wie das beim Słowacki-Theater mit „Totenfeier“ plötzlich der Fall war.

     Bei den kleineren Häusern landesweit liegt die Latte höher. So braucht beispielsweise das Teatr Współczesny in Stettin/Szczecin dringend Geld. Das Gebäude ist marode (seit den 1970er Jahren wurde es nicht renoviert), die Technik veraltet und vieles funktioniert nur dank des Engagements und des Erfindungsreichtums des ganzen Teams. Trotz dieser misslichen Lage sind dem Theater zuletzt mehrere erfolgreiche Produktionen gelungen, die Auslastung ist hoch, 13 Aufführungen sind auf Festivals eingeladen. Das Theater hat überregional Erfolg. Aber der künstlerische Leiter Jakub Skrzywanek möchte eine breite Programmpalette anbieten: auch Themen wie die „Homoehe“ sollen vorkommen. Er selbst hat zudem am Teatr Polski in Posen/Poznań eine sehr beachtete Inszenierung „Śmierć Jana Pawła II“ („Der Tod von Johannes Paul II.“) herausgebracht. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf die Kommerzialisierung der Kirche, auf ungesunden religiösen Kult und Missbrauch kirchlicher Identifikationsfiguren. Diese Arbeit war bedacht und nicht auf Provokation und Beleidigung religiöser Gefühle ausgerichtet. Es war vielmehr eine zutiefst menschliche Reflexion über das Sterben vor aller Augen in der Öffentlichkeit. Viele PiS-Anhängern würdigten dies nicht, sondern nahmen nur Anstoß. Unnötig zu sagen, dass die meisten von ihnen die Inszenierung nicht gesehen haben. Das Współczesny-Theater kann somit heute von einer ministerialen Unterstützung nur noch träumen.

     Man könnte meinen, dass in solchen Fällen angesichts der ideologisierten, rechtsnationalen Kulturpolitik der polnischen Regierung die kommunalen Behörden in Polen Enklaven bilden und der freien Kunst Unterstützung bieten. Zumal oft – etwa wie im Fall des Współczesny-Theaters in Stettin - die Städte Träger der Theater sind und in Stettin der Bürgermeister von der Unabhängigen Bürgerplattform kommt. Doch die Stadt verspricht zwar seit Jahren, sich zu kümmern, zeigt Verständnis für Probleme, macht sogar Pläne. Eine Umsetzung dieser Pläne in Form konkreter Finanzierungen bleibt jedes Mal aus. Das Współczesny-Theater ist nur eins von mehreren Beispielen. Die Opposition kümmert sich oft nur verbal oder gar nicht, was in der Regel mit Knappheit in lokalen Kassen begründet wird.

     Es sind jedoch nicht nur der ökonomische Druck und die Einmischungsversuche seitens der Regierenden, die dem polnischen Theater aktuell zusetzen. Ein großes Problem sind politische Ränke und Spiele sowie lokale „Machtwort“-Entscheidungen. Im heutigen angeheizten politischen Klima mit seiner enormen Polarisierung ist oft ein kurzfristiges politisches Partei-Interesse (oder sogar ein privates) wichtiger als gemeinwohlorientiertes Handeln. Das in seiner Struktur komplizierte politisch-administrative System, in dem die Kompetenzen zwischen Woiwodschaft-Behörden, Selbstverwaltungsbehörden (Marschallamt) und Stadt- (oder Gemeinde-)Behörden nicht immer klar abgegrenzt sind, erfordert Kooperationswillen. Wenn dieser fehlt, bleibt nur langwieriges Prozessieren vor Gericht. Dabei kann es Kollateralschäden geben.

     Im Teatr Dramatyczny in Warschau ist der Streit zwischen dem Marschall und der Stadt Warschau gut ausgegangen. Die monatelange Zeit des Gerichtsverfahrens, in der das Theater ohne Intendantin arbeitete, wurde durch das engagierte und starke Team gut überstanden. Jedoch wenn man nicht um den Intendantenvertrag streitet, sondern es um Erfüllung vertraglich festgelegter finanzieller Verpflichtungen geht, kann ein Theater dabei zugrunde gehen. Dies droht gerade dem Teatr im. Modrzejewskiej (Modejska-Theater) in Liegnitz/Legnica. Seit 1994 von Jacek Głomb geleitet, hat das Theater überregionale Bedeutung. Sehr stark mit der Stadt und der Region verbunden, ist es gleichzeitig ein Ort, wo moderne polnische Dramatik uraufgeführt wird. Künstlerisch offen, gilt das Theater als ein Sprungbrett für den Theaternachwuchs, ist bei Theaterfestivals präsent. Mit dem Augenmerk auf spezifische soziale Probleme in der Gegend und lokale deutsch-polnische Geschichte, behauptet sich dieses Kulturzentrum und der Treffpunkt in der Stadt und findet Zuspruch sogar bei der Woiwodschaft-Behörde in Breslau (PiS), ohne ein PiS-Profil vorzuzeigen. Das Theater gehört der Stadt, aber als Anerkennung der Leistungen wurde 2009 zwischen der Legnica-Stadtbehörde und der Woiwodschaft Niederschlesien ein Vertrag über die Mitfinanzierung des Hauses durch die überregionale Instanz geschlossen.

     Im Juli 2022 hat der Bürgermeister von Legnica (seit 2002 im Amt, unabhängig) den Vertrag einseitig – und ohne offizielle Begründung (!) – ab 2023 gekündigt und dem Theater das Geld der Stadt gänzlich verweigert. Der Woiwode von Niederschlesien (PiS) schlug vor, bis zur juristischen Klärung, ob so eine einseitige und unbegründete Kündigung überhaupt erlaubt ist, dem Theater den Betrag der Stadt Legnica vorläufig aus Breslau zukommen zu lassen, um es vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Für diese zusätzliche Budgetbewilligung war die Unterstützung der Selbstverwaltung nötig. Eine einzige Stimme aus der PO-Reihe hätte ausgereicht. Sie kam aber nicht, weil man kein PiS-Projekt unterstützen wollte. Das Theater musste schließen und es hängte schwarze Plakate in seinen Schaukästen aus, wo sich sonst die Spielpläne befinden. Mittlerweile ist das Haus vorübergehend wieder geöffnet. Die Woiwodschaft-Behörde entschied, das Geld doch vorläufig zu überweisen, nachdem eine neue Beratungssitzung der Selbstverwaltung mit einer zweiten Abstimmung für Ende September anberaumt wurde. Die große Frage ist, ob bei den extrem verhärteten Fronten kurz vor den Wahlen in Oktober ein anderes Abstimmungs-Ergebnis möglich ist. Der Woiwode geht hier ein hohes Risiko ein.

     Noch ein weiterer Faktor, der den Theatern in Polen neben Unterfinanzierung, politischem Druck oder Ränkespielen in der Politik zu schaffen macht, ist der Faktor Mensch. Kulturelle Inkompetenz, persönliche Prioritäten der Entscheidungsträger, offene alte lokale Rechnungen, die nur bedingt mit der jetzigen politischen Lage zusammenhängen, fehlendes diplomatisches Geschick, wo man oft gerade ein Fingerspitzengefühl braucht, erschweren das theatralische Schaffen. Auch die rechte Presse und die Massenmedien (dazu gehört der wichtigste polnische Fernsehkanal TVP 1) diskreditieren gern unbequeme Inszenierungen, unliebsame, weil politisch selbstbewußte Künstler oder Theaterleiter. Das Verbreiten von Falschinformationen oder direktes Hetzen blüht, die Wortwahl ist dabei seit Langem radikal, um die Sache geht es kaum.

     Davon können manche Theater ein Lied singen, unter anderem das Teatr Powszechny in Warschau. Nach der Inszenierung „Klątwa“/“Fluch“ in der Regie von Oliver Frljić (2017) wurde das Theater diffamiert, beschädigt, mit Gerichtsverfahren überzogen, schikaniert, und sogar bedroht. Das hat für Jahre einen großen Teil der Kräfte gebunden (manche Prozesse enden erst jetzt), die Energie für künstlerische Theaterarbeit gemindert. Dabei macht das Teatr Powszechny viele wichtige, auch lokale und soziale Bildungsprojekte verschiedener Art, möchte auf dem künstlerischen Niveau in der Hauptstadt mithalten, seinen Mitarbeitern sichere Arbeitsbedingungen bieten.

     Den Leistungen vieler Theaterschaffenden in Polen kann man mit großer Achtung begegnen. Und es gibt sie, die guten Inszenierungen, die der schlechten Lage trotzen. Einen Teil davon konnte man beim Festival „Boska Komedia“ („Göttliche Komödie“) im Dezember 2022 in Krakau anschauen. Es gibt sie, die Theater, die gute und wichtige Arbeit leisten, interessante und beeindruckende Aufführungen auf ihren Bühnen zeigen. Von der Küste mit dem Teatr Wybrzeże in Danzig/Gdańsk über kleinere Bühnen wie z.B. Teatr im. Węgierki in Białystok im Osten oder Teatr Polski in Posen im Westen, Teatr im. Żeromskiego in Kielce im Zentrum des Landes, bis zu Teatr im. Kochanowskiego in Oppeln/Opole und – noch - Słowacki-Theater oder Teatr Łaźnia Nowa in Krakau im Süden. Polnische Regiestars und neue vielversprechende Regisseur*innen sind vielerorts präsent. Wie lange aber halten sie und die Theater noch durch? Was werden die Wahlen bringen?

     Die Stimmung ist angespannt, die politische Lage unsicher. Man kennt schon „Strafmethoden“ des jetzigen Ministeriums: Geldentzug und Wegfall von Fördergeldern bei einzelnen Projekten. Darunter haben in den letzten Jahren einige wichtige Theaterfestivals gelitten: „Festiwal Prapremier“ („Festival der Uraufführungen“) in Bromberg/Bydgoszcz (seit 2016 bis heute), „Malta“-Festival (2017), „Dialog Wrocław“-Festival (2017), „Boska Komedia“ (immer stärker). Aber auch andere haben schon den Druck gespürt. Die Sorge ist groß, es könnte noch schlimmer kommen. Auch zeigt die Erfahrung, dass auf diesem Weg „eingesparte“ Zuschüsse für rechtsextreme und nationalistische militante Gruppen wie für den „Verein des Unabhängigkeitsmarsches“ ausgegeben werden, damit sie sich beispielsweise für ihre „patriotischen“ Kundgebungen Beschallungsanlagen kaufen können. Und falls die Opposition die Wahlen gewinnt: Die Szene wird politisch aufatmen, aber angesichts der massiven Herausforderungen, vor denen die Politik stehen wird, wird sie sich um die Theater kümmern? Es herrscht also große Unsicherheit. Aber klar ist auch: die PiS-Anhänger gehen selten ins Theater, man macht es für die anderen Zuschauer. Die kann und will man nicht im Stich lassen.

Der Text erschien im September 2023 in nachtkritik.de, Theaterbrief aus Polen