Shuttle zum Volksfeind
Die „guter Wechsel“-Politik der PiS-Partei in Polen verursacht wieder irreparable Schäden in der Kulturlandschaft
Dieses Theater kennt in Polen jeder: Narodowy Stary Teatr. Es ist das zweitälteste polnische Theater, nur 16 Jahre jünger als das Nationaltheater in Warschau und darf sich seit 1991 auch „Nationaltheater“ nennen, obwohl es sich nicht in der Hauptstadt, sondern in Krakau befindet. Zurzeit gibt es am Stary Teatr, auf Deutsch „Altes Theater“ einen Intendantenwechsel und wie schon in Breslau geht das polnische Kulturministerium dabei inkompetent und chaotisch vor.
Seit Januar 2013 wurde das Stary vom Regisseur Jan Klata geleitet, der auch in Deutschland kein Unbekannter ist, seine letzte Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus, „Verbrechen und Strafe“ nach Dostojewski stand auf der Longlist des Berliner Theatertreffens 2017. Klatas Intendanz am Stary begann zuerst mit einigen Schwierigkeiten, er konnte aber schnell den richtigen Ton finden und unterschiedliche Publikumsgruppen für sich gewinnen. Es lag sicherlich zum Teil auch an der Balance, die er intuitiv gefunden hat. Zu sehen waren viele polnische Stoffe, viel modern und innovativ inszenierte ältere Klassik, „Provokationen“ blieben aus.
Seitdem die PiS-Partei 2015 in Polen die Regierung übernahm, wurde es eher still um das Stary, die Leitung wurde von der Politik geduldet oder einfach ignoriert. So schien es zumindest, denn es gab keine Auseinandersetzungen und für einen beabsichtigten Intendantenwechsel gab es keine Anzeichen. Ende März 2017 kündigte das Ministerium jedoch eine Ausschreibung für den Posten des Intendanten an. Auch Klata bewarb sich, unter seinen Konkurrenten befanden sich keine prominenten Namen, was Spekulationen hervorrief, dass die Sache gut für ihn ausgehen könnte.
Es kam jedoch anders: Die Ausschreibung für Stary gewann ein Kandidat, mit dem man am wenigsten gerechnet hat: Marek Mikos arbeitete einige Jahre als Kulturjournalist, später fürs Fernsehen. Der Trumpf von Mikos war der Theaterregisseur Michal Gieleta, den er als künstlerischen Leiter vorgeschlagen hatte und dessen Konzept Klassiker wie Sophokles, Shakespeare, Schiller sowie Beckett, Pinter und Brecht vorsah. Der in Großbritannien ansässige Gieleta wurde vom Minister Gliński schnell als „der bedeutendste polnische Regisseur in der Welt“ bezeichnet. Fieberhafte Recherchen von verdutzten Theaterleuten konnten dies kaum bestätigen, über seine Inszenierungen im Ausland ist wenig verbrieft. Die sofortigen Einwände der Stary-Schauspieler wurden vom Minister „pragmatisch“ und ernüchternd abgetan: „Geben Sie dem Neuen eine Chance. Wenn er sich nicht bewährt, wird er entlassen und wir finden jemanden anderen.“
Kaum war der ab dem 1. September 2017 geltende Vertrag mit Marek Mikos unterschrieben, gab es eine unerwartete Nachricht: Der neue Intendant hat entschieden, Gieleta nicht als künstlerischen Leiter des Theaters zu beschäftigen. Der Minister ist verärgert, kann aber kaum etwas dagegen unternehmen - Gieletas Anstellung steht nicht im Intendantenvertrag. Es gibt noch weitere gute Gründe, verärgert zu sein: Bei der ersten Veranstaltung am 2. September, einer landesweiten Lesung von „Wesele“ („Die Hochzeit“) von Wyspiański, die als Eröffnung des neuen Stary gelten sollte, waren die Stary-Schauspieler nicht dabei. Mikos sprach von terminlichen Schwierigkeiten seiner Ensemblemitglieder, die wiederum von seinen Plänen gar nichts wussten. Pikant ist, dass „Wesele“ Klatas letzte Premiere am Stary war. Die Inszenierung gilt beim jungen und alten Publikum sowie bei der Kritik als großartig, man könnte den Zuspruch vielleicht mit dem Erfolg von Castorfs „Faust“ in Deutschland vergleichen.
„Wesele“ wird nun planmäßig bis Ende des Jahres gespielt, die Vorstellungen sind längst ausverkauft. Auch andere Produktionen aus der Klata-Zeit sind bis dahin im Stary zu sehen. Die weiteren Vorhaben von Mikos sind sehr vage. Offensichtlich wurde Gieletas Konzept verworfen, stattdessen nannte der Intendant einige Dramatiker, die nicht mal jedem Theaterkritiker geläufig sind, sowie Projekte, die bereits anderswo realisiert werden. Regisseure, die er als Mitarbeiter erwähnte, dementierten sofort eine geplante Zusammenarbeit. Weiter auf dem Plan stehen Events zu Polens 100-jährigem Unabhängigkeitsjubiläum. Alles deutet darauf hin, dass sich das Szenario von Breslau wiederholen könnte - auch diesmal scheint der „gute Wechsel“ erfolgreich schief zu gehen.
Weitere schlechte Nachricht ist, dass das Ministerium über die Politik in Bezug auf einzelne Häuser hinaus, fängt an, Einfluss auf Programme polnischer namhaften Theaterfestivals zu nehmen. Dem bekannten internationalen Festival Dialog-Wroclaw, dass am 14. Oktober beginnt, hat Minister Glinski 18 Tage vor der Eröffnung den fest zugesagten staatlichen Zuschuss kurzerhand gestrichen. Nur dank der Unterstützung von privaten Spendern, Solidarität der Kunstszene und erfinderischen Kraft der Veranstalter, kann das ursprüngliche Programm absolviert werden. Zu der vom Ausfall bedrohten Inszenierung von Jan Klata (Ibsens „Volksfeind“) wird man allerdings mit einem Shuttle zu Stary Teatr nach Krakau gebracht. So wird man die Kosten des Gastspiels in Breslau minimieren können.
Den Grund des plötzlichen Verweigerung der staatlichen Mitteln sieht der künstlerischer Leiter von Dialog-Wrocław Tomasz Kireńczuk darin, dass das Festival beschloss, zwar nicht im Hauptprogramm, sondern als Begleitveranstaltung die umsrittene Inszenierung von Teatr Powszechny in Warschau, „Der Fluch“ von Oliver Frljić zu zeigen, an der konservative Kräfte sowie das polnische Kulturministerium seit Monaten Anstoß nehmen.
Erschien in: taz am 17.10.2017
Für eine polnische Wiedergabe bei der Deutschen Welle siehe hier
Mehr über das Festival Dialog Wrocław im Bericht von Michael Kleineidam