Frauen im Krieg

Das Projekt „Displaced women“ des Polnischen Instituts Berlin, das Ende Mai im Studio des Maxim-Gorki-Theater in Berlin seine Premiere feierte, wollte mutig Schweigen brechen und Frauen ihre Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg erzählen lassen. Vor allem auch die Folgen, die sich für ihr weiteres Leben ergaben, sollten aufgezeigt werden. Man wollte die Schicksale einer sowjetischen Frontsoldatin, einer polnischen Zwangsarbeiterin und einer Deutschen aus Berlin miteinander konfrontieren und schauen, welche Gemeinsamkeiten, Unterschiede oder weiterführende Erkenntnisse sich aus dieser Gegenüberstellung feststellen lassen. Die Ankündigung des Abends versprach etwas von Genderstudies, oral history, Mehrkulturen-Einblicke und natürlich einen spannenden, sogar „Tabu brechenden“ Theaterabend. Diese Geschichte hätte man gern gesehen.

Der Beginn der Inszenierung entsprach den Erwartungen. Drei großformatige Frauengesichter, projiziert auf drei große Stellwände, die den Hintergrund der Bühne ausmachten - eine großartige Videoarbeit von Jan Wagner. Eindringliche Livemusik von Bartłomiej Oleś und Maxim Shagaev sowie drei in einem Blitzlichtgewitter über die Bühne irrende Frauengestalten. Was nach diesem furiosen Auftakt kam, war eine Textmontage auf Grundlage dreier Bücher: „Anonyma. Eine Frau in Berlin“, „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ von Swetlana Alexijewitsch und „Berlin. Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter aus der Hauptstadt des III Reiches in den Jahren 1939-1945“, die leider oft sehr beliebig zu sein schien. Hinzu kam, dass das Interesse der Regisseurin Monika Dobrowlańska, die zusammen mit Michał Walczak auch für die Textfassung verantwortlich zeichnete, überwiegend nur den sowjetischen Soldatinnen galt. Im Laufe des Abends traten immer mehrere von ihnen auf, alle von Svetlana Anikej grandios gespielt. Anikej war auch die Einzige, die an diesem Abend viel Spielraum bekam und auch ihre Figuren auch bis in die Gegenwart hinüber bringen konnte. Die Geschichte der polnischen Zwangsarbeiterin war auf ihre Ausreise aus Lodz und kurze, in ihren Aussagen plakativ reduzierte Szenen beschränkt, endete einige Monate nach dem Krieg, obwohl im Teil nach der Pause auch ihre Geschichte „40 Jahre danach“ kommen sollte. Noch verkürzter kam das Leben der deutschen Anonyma zur Sprache: Vergewaltigungen, danach gute Beziehungen mit selbst angeflirteten russischen Offizieren und Ungerührtheit ihres Mannes, als er von den „Schändungen“ erfährt. So auf kleine Nebenrollen reduziert, hatten ihre Darstellerinnen Monika Dawidziuk und Anna Poetter kaum Möglichkeiten, ihr schauspielerisches Können zu zeigen. Dass sie viel mehr zu bieten haben, bewiesen sie, wenn sie als Mitspielerinnen der russischen Soldatinnen oder in kurzen Männerrollen (die manchmal auch von den Musikern übernommen wurden) „einsprangen“.

Es wäre vielleicht besser gewesen, den Abend als einen Dreiteiler zu konzipieren und in einem ersten Teil die nur rudimentär geschilderten Schicksale der deutschen Frau und der polnischen Zwangsarbeiterin ganz wegzulassen. Damit hätte man vielleicht auch der Geschichte der sowjetischen Soldatinnen etwas mehr Reflexion und Tiefe geben können. So bleibt der Eindruck, dass alles schlimm, aber irgendwie nicht so schlimm war, dass es für eine Frau am wichtigsten ist, einen Ehemann abzukriegen (es sei denn, sie ist eine Deutsche) und dass Kriege von den Reichen geführt werden. Und dass es uns allen am politischen Interesse fehlt. Auch der Titel des Stückes bleibt ein Geheimnis. So wie der Begriff anfangs auf der Bühne formuliert wurde, trifft er auf keine der Frauen richtig zu, selbst im übertragenen Sinn kaum.

Einige Szenen des Abends, die starke Musik, die den ganzen Abend spannend zusammenhielt, und die als Vorlage dienenden Bücher lassen vermuten, dass da mehr drin gewesen wäre und dass es sich lohnen würde, sich dieser Aufgabe noch einmal zu stellen. Dann vielleicht mit einem richtigen Theaterstück. Disparate Einzelteile von Betroffenen-Niederschriften müssen für ein Theater, das wahre Geschichten erzählen soll, keineswegs die bessere Variante sein.

Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 88