Autoren müssen von etwas leben

Gespräch mit den Leitern von Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb

Iwona Uberman: Frau Dr. Sommer, ihr Gustav-Kiepenheuer Bühnenvertrieb war viele Jahre lang für polnische Dramatik der führende Verlag im westlichen deutschsprachigen Raum. Lassen Sie uns zurückblicken: 1965 fahren Sie nach Polen. Zu dieser Zeit vertreten Sie schon einige polnische Dramatiker, sie werden an bundesdeutschen Theatern gespielt, z.B. steht Różewicz mit drei Dramen im Spielplan des Berliner Schillertheater. Dank Ihnen ist auch das erste Stück von Sławomir Mrożek „Die Polizei“ aufgeführt worden und hatte großen Erfolg, was dazu führte, dass Mrożek später ein oft gespielter und beliebter Autor in der Bundesrepublik wurde. Waren Sie schon vor 1965 in Polen?

Maria Sommer: Nein, das war das erste Mal. Der Theaterwissenschaftler und Publizist Andrzej Wirth war in Warschau Herausgeber von „Nowa Kultura“ und machte uns mit Iredyński bekannt, der damals ein hoffnungsvoller und hochbegabter junger Autor war, wir mochten und liebten ihn sehr. Bei diesem ersten Besuch in Warschau 1965 war ich damals mit meinem Noch-nicht-Mann. Wir fuhren im Wagen hin und wohnten im Hotel Europejski. Iredyński war der Erste, der kam, und mit dem wir uns bekannt machten. Am nächsten Mittag waren es dann schon fünf oder sechs und am übernächsten Mittag schon zwölf oder dreizehn Leute, die alle schrieben und gern in der Bundesrepublik gespielt oder gedruckt werden wollten. Ich weiß nicht, ob Sie das heute schreiben können: Jedenfalls ist mein Mann dann auf die Straße gegangen und hat DM schwarz umgetauscht. Ich hab’ gezittert. Aber wir konnten dann viele junge Autoren zum Mittagessen einladen. Nicht alle sind dann in Deutschland erschienen.

Uberman: Ihre Reise war eine Dienstreise?

Sommer: Ja, ich bin wegen der Autoren hingefahren. Natürlich ist man dann glücklich, wenn man auch von dem Land was sieht. Da war ja das Schloss noch nicht wieder aufgebaut, es war ja alles am Anfang, der Marktplatz war schon fertig, wunderschön. Es gab auch ein herrliches altes Restaurant, was schon wieder auf war, es gab auch eine Malerin, zu der uns der Andrzej Wirth führte, von der ich heute noch eine Grafik da habe. Das war also alles hoch aufregend und interessant und schön, ja hat mich sehr bewegt.

Uberman: Und Tadeusz Różewicz haben Sie auch 1965 getroffen?

Sommer: Nein, ich glaube nicht, dass er damals bei der Begegnung in Warschau dabei war, auch diese Verbindung kam über Andrzej Wirth zustande. Wir hatten dann auch einen richtigen Vertrag mit ZAIKS, was ja damals alles sehr schwierig war. Rozewicz war auch sehr genau, er wollte um Gottes Willen nichts Illegales machen, nicht irgendwo anecken. Wir hatten auch die Premiere von „Karthothek“ hier, ich hatte auch Verbindung mit ihm. Er sagte erst nein, er könne nicht nach Berlin kommen. Eines Tages, das Stück lief auch schon sehr erfolgreich, klingelts da draußen, es steht ein kleiner Mann mit einem riesengroßen Koffer und sagte: „Różewicz, kann ich hier stehen lassen, wo ist Museum?“ Ich sagte: “Herr Różewicz, kommen Sie doch rein“ usw…“Sie kommen doch sicher von der Bahn.“ Es war morgens so gegen Zehn. „Sie sind doch sicher weit gefahren, möchten Sie denn ein Frühstück?“ „Nein, möchte ins Museum“. Da hab’ ich ihn also hier in Dahlem ins Museum gefahren und er kam dann nachher zu uns. Dann haben wir sehr guten Kontakt gehabt, der auch über die Jahre ging. Er war nie so erfolgreich, wie er es verdient hätte und wie ich es gern gehabt hätte. Aber das lag daran, dass man diese Art von Dramatik seiner Zeit aus Frankreich bekam. Adamow, Audiberti und Ionesco – die waren schon drin, Różewicz war für Polen hoch interessant und neu, und hier sagte man nu ja, nu ja. Es gab nur wenige, die das wirklich erkannten.

Bernd Schmidt: Ich habe gerade nachgesehen, die „Laokoon-Gruppe“ kam 1963 als Inszenierung im Westen im Theater und auch gleichzeitig im Fernsehen, im Sender Freies Berlin.

Sommer: Zu dieser Zeit wurden mehr Theateraufführungen im Fernsehen übertragen als heute. Man muss auch dazu sagen, dass im SFB, dem Berliner Sender, damals Christa Vogel als Redakteurin saß. Sie war gleichzeitig unsere freie Mitarbeiterin. Sie hatte in Polen studiert, in Krakau, hat in all der Zeit auch immer die Zeitschrift „Dialog“ gelesen und hatte einen sehr guten Überblick. Wir machten mit ihr sehr viel zusammen. Und ich war mit ihr dann nach der ersten Reise mit meinem Mann ein paar Mal in Warschau und auch in Krakau.

Uberman: Wurde Różewicz eigentlich zuerst als Dramatiker in Westdeutschland bekannt und dann erst als Lyriker?

Sommer: Ja, soweit ich weiß ja, aber er war auch schon durch Dedecius bekannt, er galt schon als etwas, aber er war nicht so bekannt wie z.Bsp. Mrożek, der natürlich durch seine politische Opposition zunächst berühmt wurde und durch sein karikaturhaftes und eher ins Komische zielendes Schreiben.

Uberman: Ließe es sich verallgemeinern, dass Różewicz in Deutschland vor allem als ein großer Lyriker galt, anders als Mrożek, der auch Prosa geschrieben hat, aber dessen Schwerpunkt war vor allem die Dramatik, nicht wahr?

Sommer: Na ja, nein zunächst die kleinen Kurzgeschichten, die er hatte. Mrożek hat ja eine Menge kurzer Geschichten geschrieben, sie auch mit seinen Karikaturen versehen, das war ja sein Ausgangspunkt. Theater kam dann, letztlich waren es dann „Polizei“ und „Tango“, das waren die großen Sachen. Andere Stücke liefen danach von allein.

Uberman: Sie erinnern sich offensichtlich besser an die Erfolge anderer als an Ihre. Der Erfolg der Erzählungen in Deutschland war 1960, der große Erfolg von „Polizei“ schon 1959.

Schmidt: Gut für Mrożek war die politische Entwicklung der 60ger Jahre in Deutschland, die dazu beitrug, dass diese Themen, seine Themen hier viel stärker in den Vordergrund traten, als beispielsweise die von Różewicz.

Sommer: Ich hatte Mrożek durch Grass kennengelernt, d.h., Grass war das erste mal wieder in Polen, in Gdansk, und er kam zurück – also dass war die aller früheste Zeit, ich habe 1957 mit Grass den ersten Vertrag gemacht.

Uberman: Ich würde gern auf einen Autor zurückkommen, den sie schon selbst kurz ins Gespräch gebracht haben, nämlich Ireneusz Iredynski, der leider in Polen in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten ist…

Sommer: Ja hier auch.

Uberman: Ist es etwas Theaterspezifisches, dass Rebellen dort nur eine kurze Zeit Beachtung finden? Anders als bei der gedruckten Literatur? Wenn man Iredynski mit Marek Hłasko vergleicht, der heute noch heiß geliebt und gelesen wird …

Sommer: Hier nicht, auch vergessen eigentlich. Nun ist das Theater schnelllebiger als das, was man sich hinstellen kann. Iredynski war natürlich sehr unterschiedlich in seiner Arbeit. Er schrieb dann mal ganz schnell und dann wollte er es auch nicht mehr ansehen. Das waren zum Teil ganz genialische Dinge. Wir haben eine Reihe von kurzen Stücken, die nicht geliebt werden im Theater. Solange ich diesen Beruf mache, ist es schwer, Einakter wirklich dauerhaft unterzubringen, weil die Theater da sehr zurückhaltend sind. Sie mögen es nicht, einen Abend aus mehreren Stücken zusammen zu setzen. Das war eben bei Iredynski der Fall. Ja, das tut mir immer leid, wenn ich an ihn denke, ich habe immer so ein großes Trauergefühl, weil er auch ein so unglaublicher Bursche war.

Uberman: Also es liegt nicht daran, dass seine Stücke nicht mehr zeitgemäß sind?

Sommer: Es ist nun natürlich eine ganz schwere Frage, was ist zeitgemäß und was nicht. Sicherlich geht im Theater die Zeit schneller an Autoren vorbei als bei Prosa, dort werden häufig Themen behandelt, die zeitübergreifend sind. Es ist auch noch etwas anderes. Ein sehr bekannter, von mir auch sehr geliebter Kritiker, George Hensel, hat mal geschrieben: „Dramatiker schreiben zehn Jahre, wenn es hoch kommt zwanzig Jahre Stücke, die gemocht werden. Dann sind sie meistens nicht mehr so erfolgreich. Was auch daran liegt, dass sie sich nicht mehr die Zeit nehmen, ihren Gestalten zuzuhören.“ Da ist schon etwas dran. Wenn ich unsere großen Autoren so sehe oder auch die, die in der Zeit, in der ich in diesem Beruf tätig bin, die meisten haben nicht länger als zehn-fünfzehn Jahre, zwanzig sind schon sehr viel. Und dann sind sie vergessen. Wenn ich denke, was nach dem Krieg alles an Franzosen, an Amerikanern, auch an Engländern hier gespielt worden ist, rauf und runter. Von denen kennt heute kaum jemand auch nur noch den Namen. Dann gibt es eben etwas anderes und man nennt es zeitgemäß, aber was ist zeitgemäß?

Uberman: Sie haben sich sehr viel um die polnischen Dramatiker gekümmert. Haben Sie auch ab und zu polnische Regisseure gefördert?

Sommer: (lacht) Ja, den Swinarski. Den hat übrigens auch Andrzej Wirth zu mir geschickt. Swinarski hatte in Lübeck eine kleine Inszenierung gehabt und kam dann hierher, um durch mich Kontakte zu bekommen. Das hab ich gemacht. Der erste war hier zur Schaubühne, schon damals unter Jürgen Schitthelm. Das war sehr merkwürdig. Wir hatten nämlich im Verlag ein brasilianisches Theaterstück von Ariano Suassuna, „Das Testament des Hundes“, das mir wiederum vom Leiter des Goethe-Instituts in Sao Paolo geschickt worden war. Er hatte es übersetzt und schickte es in einer deutschen Fassung. Ich fand das so ungewöhnlich und schön, und dachte, das müsste man machen, wusste aber nicht wie. Dann kam aber der Swinarski zu mir und ich fragte: „Was würden Sie denn gerne inszenieren?“ Er sagte das, das, das und dann „Ich habe gerade im Polen ein brasilianisches Stück inszeniert“. So ergab sich diese Zusammenarbeit hier. Die Premiere war 1962 an der Schaubühne. Swinarski hab’ ich besonders geliebt und war sehr glücklich, als er dann eine so große Karriere machte. Ich weiß noch, hier im Schiller Theater inszenierte er die Uraufführung von Peter Weiss, den „Marat“. Da saß er bei mir und erzählte: „Da mache ich ganz was Tolles: Wenn der Vorhang aufgeht, da steht ein Mann mit dem Rücken zum Publikum und ist völlig nackt.“ So viel zum Zeitgemäßen. Wen hatten wir denn noch? Mit Szajna hatten wir ein bisschen zu tun und natürlich mit Helmut Kajzar. Von dem haben wir dann auch Stücke gemacht. Die kamen durch den Peter Lachmann, der sie übersetzt hatte. Kajzar war dann auch noch selbst hier. Er war ein sehr kopflastiger Autor, der sehr darauf bestand, dass seine etwas komplizierten Gedankengänge doch schön deutlich inszeniert werden sollten. Es war also nicht so ganz einfach. Aber wir haben ihn sehr gemocht und haben auch einige Aufführungen von ihm zustande bekommen.

Uberman: In Ihrem Verlagsprogramm führen Sie vor allem Autoren, die in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben haben. Sie haben natürlich neben den Polen auch viele deutsche Autoren, viele französischen, viele englischsprachige und, und, und. Deshalb wundert es nicht, dass Sie sich nicht auch noch um polnische Klassik kümmern konnten. Aber was meinen Sie, hat in Zukunft die polnische Klassik auf deutschen Bühnen eine Chance?

Sommer: Man kann das nicht generell beantworten. Sie werden dann eine Chance haben, wenn irgendjemand darauf kommt, was weiß ich, die „Ungöttliche Komödie“ zu inszenieren, und es wird ein riesengroßer Erfolg. Dann kommen alle an und spielen es nach. So einfach ist das. Oder so schwer.

Uberman: Generell liegt aber fremde Klassik nicht auf dem Weg?

Sommer: Die hat nie wirklich auf dem Weg gelegen, bis auf die paar Griechen und sehr viel Shakespeare, eine ganze Menge Moliere und damit hört es auch schon auf, dann kommt auch noch Goldoni.

Schmidt: Man kann aber mit einem gewissen Stolz sagen, dass das deutsche Theatersystem immer wieder internationale Dramatik einlädt und inszeniert. Und ich kann auch sagen, dass die Leute in den Theaterverlagen, also nicht nur wir, sondern auch unsere Kollegen, immer wieder auch im Ausland gucken, was dort angeboten wird. Wo sich eine Chance bietet, sorgt man oft zusammen mit dem Goethe Institut für eine Übersetzung und holt Stücke nach Deutschland. Hinzu kommt, was Frau Sommer gerade über den Erfolg der Autoren in den sechziger, siebziger Jahren sagte. Die Umschlagsgeschwindigkeit ist viel größer geworden, auch für die zeitgenössischen deutschen Autoren.

Uberman: Es gibt heute keinen Theaterverlag in Deutschland, der sich der aktuellen polnischen Dramatik besonders annehmen würde. Sind die heutigen Verleger etwas zu vorsichtig oder hat man heute eine andere Herangehensweise und sucht nur noch nach einzelnen Personen?

Schmidt: Frau Sommer hat damals mit der Bekanntschaft von Christa Vogel sicherlich großes Glück gehabt. Dass sie jemanden hatte, der die polnische Sprache sehr gut beherrschte und auch über einen literarischen Geschmack verfügte, uns darin vertrat. Dadurch, dass es von den neuen Stücken nicht genügend Übersetzungen ins Deutsche gibt, sind wir gehandicapt. Das ist natürlich genau das Problem, was wir umgekehrt auch mit deutschen Stücken in Frankreich, oder in England oder in Skandinavien haben. Man braucht im Bereich der Übersetzer kenntnisreiche Leute, die aus eigenem Erkennen heraus wissen, was wie funktioniert und die letztlich auch innerhalb Deutschlands als Multiplikatoren dazu beitragen, dass sich ein solcher Tipp herumspricht. Es gibt ja bestimmte Festivals wie die Biennale in Wiesbaden. Ich glaube auch, dass einige meiner Kollegen dort schon fündig geworden sind. Das sind die Möglichkeiten, die wir haben. Andere gibt es eigentlich nicht, es sei denn es gäbe beispielsweise einen Buchverlag, der ein großes Kompendium der polnischen Dramatik veröffentlichen würde.

Sommer: Das ist natürlich sehr schwer. Wir hatten früher noch den sehr aktiven Dedecius, mit dem man natürlich auch Kontakt hatte. Der hatte aber relativ wenig mit Dramatik im Sinn, seine Hauptgebiete waren Lyrik und Prosa und dort hat er mit seinem Institut eine Menge gemacht. Ich habe oft mit ihm darüber gesprochen, mal irgendeine Anthologie zu machen, da war er aber doch eher zurückhaltend.

Uberman: Was sind eigentlich die wichtigsten Aufgaben eines Theaterverlegers und welche Fähigkeiten müsste man besitzen oder schnell erlernen?

Sommer: Schnell ist das sowieso nicht zu erlernen. Herr Schmidt war als Fünfundzwanzigjähriger in den Verlag gekommen. Eines Tages sagte er: „Ich bin jetzt zwei Jahre bei Ihnen, jetzt komm ich so allmählich dahinter, was so ein Bühnenverlag macht“. Jetzt ist er seit über fünfundzwanzig Jahren hier und wir leiten zusammen den Verlag. Sagen Sie auch was dazu, ich bin müde.

Schmidt: Immer wenn’s schwierig wird, muss ich ran. (Lachen) Man muss sich also in Vieles erst einmal hineinlesen. Man muss bei Filmverträgen wissen, wer hat dieses Recht vorher gehabt, wie ist es weitergegeben worden. Dieser Einblick dauert einfach sehr lange. Wenn man in einen Theaterverlag eintritt, der seit 1931 tätig ist, dann ist das ein Riesenunternehmen, auch wenn es sich jetzt einmal gar nicht als solches darstellt. Man muss auch die Genese von Werken kennen. Sie haben sehr ausführlich Fragen zur polnischen Dramatik gestellt. Diese Fragen könnte man genau so auf die englische Dramatik, auf die französische Dramatik, skandinavische, usw. anwenden. Ich habe den Verlag seinerzeit Mitte der achtziger Jahre kennengelernt, als beispielsweise die Technisierung bei Weitem nicht so fortgeschritten war. Wir hatten es damals immer noch mit eingesandten Manuskripten zu tun, die von Autoren, wenn sie auf dem Schreibtisch lagen, bis in den letzten Satz durchdacht waren. Heute werden die Textfassungen mehrfach geändert. Wenn Christoph Hein damals mit einem Stück zu uns kam, dann war das auf den Punkt gearbeitet und da gab es im Grunde genommen auch wenig daran zu ändern. Heute ist es ganz anders. Das hat sich durch technische Vorgaben gravierend geändert. Dann hat sich auch die Bedeutung des Theaters im Fernsehen extrem verändert, die Spielpläne wechseln schneller, Stücke werden heute kaum noch nachgespielt, sie werden nur einmal, zwei Mal aufgeführt. Ich selber lege großen Wert darauf, dass die Stücke mehrfach gespielt werden. Weil nichts mehr von allein geht, reise ich durch die Lande, die Reiserei hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Sie können auf keinen Automatismus mehr hoffen, nur bei ganz wenigen Stücken ist es noch der Fall. Das kann bei Komödien passieren, Stücken mit kleiner Besetzung, wenn es dann auch internationale Berühmtheiten sind. Sonst müssen Sie für jedes Stück, für jeden Autor intensiv arbeiten. Dass man viel unterwegs ist, empfinde ich wiederum auch als Bereicherung. Dadurch kommt man mit den Leuten wieder viel intensiver ins Gespräch. Offen gestanden ist meine Hoffnung, dass sich auch das Publikum wieder stärker dem Theater zuwendet, weil in der digitalen Welt in der wir heute leben, in der immer stärker reproduzierbaren You Tube-Welt, das Erlebnis, abends etwas wirklich ganz Einzigartiges zu sehen, wachsen wird. Dieser kleine Ausschnitt wird sich vielleicht vergrößern. Aber im Theaterbereich sind einfach Gespräche vor Ort extrem wichtig geworden.

Sommer: Na, die waren es immer, als ich angefangen habe auch.

Schmidt: Das will ich ja gar nicht in Abrede stellen, aber ich spüre es ja an mir selber, dass man kämpfen muss, weil dieses Überangebot an den Theatern so extrem ist. Wir haben Schreibschulen, wir haben regelmäßig neue junge Autoren auf Stückemärkten, ob hier in Berlin, in Heidelberg, in Hamburg oder sonst wo, überall kommen die neuen Talente. Wir wissen nie, wie lange sie durchhalten. Sind es dann vielleicht nur noch Georg - Henselsche drei- vier Jahre oder hat das dann doch Bestand auf zwanzig Jahre. Das ist bei dem, was die Theater heute eigentlich wollen, kaum noch denkbar. Auch Intendanzen dauern nur vier oder fünf Jahre, dann kommt schon wieder jemand anderer. Heute freut man sich, wenn man mit Theatern zu tun hat, deren Intendanten nach drei oder vier Jahren wieder woanders hingehen, dass man auf diese Dauer die Kontakte hält. Wenn Frau Sommer dann aus früheren Zeiten mit Grass erzählt, wenn es dann ein Stück gab, wenn namhafte Intendanten kamen, um bei der Lesung eines neuen Stückes dabei zu sein…

Sommer: Ja, abends hier, von Wien bis Hamburg, von Düsseldorf bis ich weiß nicht was, kamen die Intendanten, die Großfürsten. Sie saßen dann alle um sieben oder so und haben bis nachts um drei noch diskutiert.

Schmidt: Mit welchem Stück könnten Sie dass heute noch machen, mit welchem Autor könnten Sie die Leute bewegen zu kommen …

Sommer: Die jungen Autoren kriegen ihre Aufträge, und dann werden sie gespielt. Aber damit ist es zu Ende und es sind vier, fünf Vorstellungen. Na ja, dann müssen sie schon die nächste Sache schreiben, und dann machen sie atemlos drei, vier Sachen auf einmal, das ist sehr, sehr schwer. Wie soll denn da was entstehen. Sie fragten vorhin, was für Eigenschaften ein Verleger haben muss. Als Erstes muss er das Theater lieben, lieben, lieben und sich auch nicht verdrießen lassen. Und einen Sinn dafür haben, wie das im Manuskript aussieht, wenn Literatur gespielt werden soll. Was zum Beispiel auch besonders wichtig bei Übersetzungen ist. Es gibt sehr gute literarische Übersetzer, die fürs Theater nicht geeignet sind, weil sie eben nicht das Gefühl dafür haben, wie die Sprache Bewegung und Ablauf hervorbringt. Die können in ihrem Bereich der Prosa ganz großartig sein und fürs Theater leider nicht. Auf der anderen Seite müsste ein Verleger auch resistent sein, wenn ein Theater sagt, ich brauch was, was mir im Mund liegt. Es ist die Aufgabe, auch auf der Bühne Sprache zu ermöglichen und nicht die Schlamperei zu befördern. Eine literarische Bildung, einen literarischen Geschmack, aber eben auch das Gefühl für Gestik, Mimik, Ablauf und Spannung usw. Das ist das eine, also das Künstlerische. Er muss aber auch sehr viel psychologisches Gespür haben für die Autoren, die nicht immer die einfachsten Menschen sind - je komplizierter sie sind, desto interessanter sind sie aber auch häufig. Es ist oft eine große Aufgabe, die Autoren zu pflegen. Wenn sie denn ein gutes Verhältnis zu ihren Verlegern haben, dann sehen sie den Bühnenverlag aber eben auch als Eheberatung, als Reisebüro, als Psychiater, als Bankhaus. Da hat man die vielfältigsten Aufgaben und braucht auch ganz gute Nerven dazu. Dann muss man aber auch das Gefühl dafür haben, wie man mit einem Regisseur oder einem Schauspieler, vor allem auch mit den Dramaturgen umgeht. Man sollte auch in gewisser Weise die Theorien kennen, die es da gibt und die entwickelt werden. Ich bin nicht sehr theorielastig, ich habe es immer mehr mit dem Angucken zu tun gehabt. Aber was Herr Schmidt vorhin zu Recht erwähnt hat, ist der Sinn für rechtliche Dinge. Denn es ist sehr schön, wenn man mit dem Autor schön spinnt und schön träumt und schön isst und schön trinkt…

Schmidt: säuft! Man erzählt immer so gerne Geschichten, wie die Autoren mit ihren Verlegern saufen. (Lachen)

Sommer: … das ist das eine, das andere aber ist, dass Autoren leben müssen und gute Verträge brauchen. Wir haben von Anfang an sehr, sehr großen Wert darauf gelegt, dass wir es sind, die mit den Theatern, den Rundfunkanstalten, den Filmproduktionen die Verträge formulieren und nicht sie. Man muss auch wissen, was in der Welt los ist und wie sich die Dinge in rechtlichen Bereichen verändern. Ich habe sehr viel Verbandspolitik gemacht, habe dabei viele Jahre lang die Verhandlungen mit den Fernsehanstalten, Rundfunkanstalten über Rahmenverträge und Einzelverträge geführt. Was sehr schwierig ist und sehr viel Zeit nimmt. Ich habe die Verwertungsgesellschaft Wort mitbegründet, war 25 Jahre lang Vorsitzende des Verwaltungsrates und auch lange Vorstandsmitglied und Vorsitzende im Verlegerverband. Das alles hat Herr Schmidt freundlicherweise übernommen, durchaus auch mit Freude und Erfolg. Auch das Urheberrecht ist ein hochinteressantes Gebiet. Es ist ja dauernd im Wandel. So viel zum Beruf.

Uberman:Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch erschien auf Polnisch in Teatr Nr. 5/2012 und wurde später in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 84 publiziert