Julia Holewińska bei Stückemarkt der 49. Theatertreffens in Berlin

 Iwona Uberman: Für Ihr Theaterstück „Fremde Körper“ („Ciala obce“) bekamen Sie 2010 den Gdingener Dramatikerpreis (Gdynska Nagroda Dramaturgiczna), die wichtigste Auszeichnung für junge Dramatiker in Polen. Die polnische Presse schrieb nach der Uraufführung im Zoppoter Studio des Danziger Teatr Wybrzeze im Februar 2012, dass es eins der radikalsten Theaterereignisse in Polen in den letzten Jahren war. Jetzt sind „Fremde Körper“ auf dem Stückemarkt des Theatertreffens Berlin 2012 zu sehen. Wie finden Sie es, ins Finale dieses so wichtigen europäischen Wettbewerbes gekommen zu sein?

Julia Holewińska: Es ist sehr wichtig für mich, dass mein Stück zum Stückemarkt ausgewählt wurde. Ich halte es auch für einen großen Erfolg für die polnische Dramatik – unter den sechs ausgewählten Werken sind zwei polnische Texte: meiner und der von Magda Fertacz. Stückemarkt zählt zu den wichtigsten Wettbewerben für europäische Dramatik und der deutsche Theatermarkt ist neben dem englischen sicherlich der wichtigste Markt in Europa. Es ist ein Grund, stolz zu sein. Ich habe gehört, dass unter allen zugeschickten Texten Polen das zweite Land war, aus dem die meisten Stücke kamen. Das bedeutet, dass die polnische Dramatik stark ist, dass sie wächst und immer öfter auf den europäischen Bühnen anzutreffen ist. Ich bin glücklich, insbesondere, weil „Fremde Körper“ kein einfaches Stück ist und es nicht leicht zu verstehen ist, weder in Polen noch hier in Deutschland - obwohl die Gründe dafür verschieden sind.

Uberman: Was sind das für Gründe?

Holewińska: In Polen wurde das Stück sowohl von rechten wie auch von linken Kreisen kritisiert. Es ist ein sehr unbequemes Thema, es ist eine Dekonstruktion des Solidarnosc-Mythos. Das Stück erzählt, dass es unter den tollen Jungs, den mutigen Männern, die um die Freiheit kämpften, eine Person gab, die nicht ins Bild passt. Aber mich interessierte das, was nicht passt, ein Held, der gewisse Stereotype und diese eine Lesart der Geschichte zersetzt. Ich sage häufig, dass es ein Stück über das Streben nach Freiheit ist, aber ich möchte, dass man es auch als Würdigung der Ausgeschlossenen sieht, insbesondere der Frauen, weil sie in der historischen Politik übergangen werden. Es stimmt nicht, dass nur tolle Jungs Revolutionen machen. In Deutschland kann ich mir vorstellen, dass die polnische Realität hier ein Hindernis bilden könnte. Aber ich hoffe, dass – trotz allem, was uns trennt – das Thema an sich, d. h. das Streben nach politischer und individueller Freiheit, verstanden wird, es ist universell.

Uberman: Am 11 Mai fand eine szenische Lesung ihres Textes im Haus der Berliner Festspiele statt. Wie waren Ihre Eindrücke?

Holewińska: Ich war begeistert. Es war nicht nur eine Lesung, es war fast eine Inszenierung. Und sie war völlig anders als die, die wir in Polen gemacht haben. Ich war Dramaturgin bei der Inszenierung, bei der Kuba Kowalski Regie führte, deshalb bin ich für sie mitverantwortlich. Der wichtigste Unterschied bestand darin, dass wir in Polen entschieden, dass die Hauptfigur, also Adam und Eva von demselben Schauspieler – Marek Tynda vom Teatr Wybrzeze – gespielt wird. Hier wurde die Hauptperson von zwei Schauspielern dargestellt. Ich sagte schon immer, dass es eine Regie-Entscheidung ist, und man es so oder auch anders spielen kann. In Berlin gab es zwei Schauspieler und es funktionierte hervorragend. Ich bin glücklich.

Uberman: Wie wirkt der eigene Text, wenn man ihn in einer Fremdsprache hört?

Holewińska: Mein Stück wurde schon ins Spanische, Englische und Russische übersetzt. Ich bin immer sehr gespannt, es ist ein Text, der stark auf Sprache setzt, Sprachspiele, literarische Anspielungen und Bezüge zur polnischen Kultur sind wichtig, man ist also immer unruhig, ob sie verstanden werden. Aber ich habe erstens großes Glück mit den Übersetzern und zweitens war bis jetzt die Aufnahme positiv. Es scheint mir, dass das Stück, von der Publikumsreaktion und den Gesprächen mit der Regisseurin und den Schauspielern her gesehen, auch hier gut aufgenommen, dass es verstanden wurde.

Uberman: Ihr Drama verbindet die Geschichte der 80er Jahre in Polen, d. h. die Zeiten des Kampfes für Demokratie, mit der Gegenwart. Warum entschieden Sie sich für diese Verbindung, schien Ihnen eine Geschichte über Geschlechtsänderung in der heutigen Zeit nicht interessant genug?

Holewińska: Sie ist sicherlich interessant, aber ich glaube, dass man sich damit schon im Film, in der Literatur und im Theater, auch wenn nicht oft in Dramen, auseinandergesetzt hat. Wichtig ist dieses Aufeinanderprallen der 80er Jahre - man darf nicht vergessen, dass es eine Periode ist, die in Polen stark mit der Kirche assoziiert wird, was übrigens nicht stimmt und ich hoffte auch diesen Mythos etwas zu zersetzen – mit der Änderung des Geschlechts. Das Moment der Transformation wird so zu einer Allegorie über ein zerstrittenes Polen, in dem der Kampf weitergeht. Ich hielt diese Gegenüberstellung von politischer und persönlicher Veränderung für spannend. Ich versuche in meinen Stücken große Geschichte, also das, was mit meinem Land passiert, durch Einzelschicksale zu erzählen. Das scheint mir interessant zu sein.

Uberman: Es ist noch zu früh, um festzustellen, ob die Teilnahme am Theatertreffen Ihr weiteres Schreiben beeinflussen wird. Aber vielleicht wissen Sie schon, was Sie aus Berlin nach Polen mitnehmen werden?

Holewińska: Ja, es war eine große Erfahrung, Autoren aus Deutschland und England kennenzulernen. Ich schätze das deutsche Theater sehr. Meine Verbindungen zu Deutschland entwickeln sich allmählich, das Theater in Bonn bestellte bei mir ein Theaterstück, das ich gemeinsam mit einem deutschen Autor schreibe. Er schreibt auf Deutsch, ich auf Polnisch, aber es wird ein Stück sein, mal sehen, was daraus wird. Es wird ein Text über deutsch-polnische Beziehungen auf verschiedenen Ebenen: ökonomischen, historischen, sexuellen – verschiedene Geschichten. Ich fahre auch nach Wiesbaden zur Theaterbiennale, um am Forum Junger Autoren Europas teilzunehmen. Dort werde ich einige Personen treffen, die jetzt auch hier in Berlin sind. Die Kontakte werden enger, was mich sehr freut. Ich hoffe, dass sich die deutsch-polnischen Beziehungen im Kulturbereich noch weiter entwickeln werden.

Uberman: Können Sie noch verraten, was Sie für Polen planen?

Holewińska: Mit einem Regisseur, mit dem ich häufiger zusammenarbeite, bereite ich „Wuthering Heights“ („Sturmhöhe“) vor. Ich schreibe eine Theaterfassung und werde auch die Dramaturgie übernehmen. Ich fange auch mit zwei neuen Dramen an. Eines davon wird polnische Geschichte mit den Augen von Hellsehern darstellen, von Zeiten Pilsudskis bis in die Gegenwart, ein zweites wird eine Geschichte in Art von Almodovar sein. Ich möchte mich kurz von der großen Geschichte entfernen.

Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 82