Integration? Wie geht das?

Grandioses mit jugendlichen Amateuren – „Clash“ im Deutschen Theater

Es  kommt nicht selten vor, dass in einer Schulklasse gestritten wird.  Üblicherweise entstehen dabei zwei Lager. Wen könnte es also wundern,  dass in einer Berliner Schule plötzlich „wir“ und „sie“ sich gegenüber  stehen. „Wir“ sind Bio-Deutsche, „sie“ die Fremden, obwohl auch sie hier  geboren sind, Deutsch als Muttersprache und den gleichen  Geschichtsunterricht haben. Es gilt natürlich auch umgekehrt: „wir“ sind  diejenigen, die der Multikulti angehören und die „echten“ Deutschen  „sie“. Warum aber ist es so? Das kann man mit dem in der Schule  gelernten Stoff nicht erklären. Man versucht, diskutiert. Viel Quatsch  ist dabei und vieles stimmt auch irgendwie. Wie im echten Leben. Man  kommt jedoch nicht weiter. Deshalb macht sich eine Schülergruppe auf die  Suche nach einer Antwort auf den Weg.

Man macht eine Raumfahrt in die Zukunft, stürzt ab und strandet – wie es  sich später zeigt – im Jahre 2111 auf der Erde. Das Leben hat sich sehr  verändert, es herrscht jetzt „das Buch“. Die alten prominenten  Einheimischen werden zu unerwünschten Eindringlingen, die trotz großer  Bemühungen in den Kreis der üblichen Bewohner nicht zugelassen werden.  So schnell geht es.

So  lernen die jugendlichen Akteure auf eigener Haut, was es ist,  ausgegrenzt zu sein, abgestoßen, wie vergeblich eigene Bemühungen  dazuzugehören sein können und wie viel hier von der Umgebung und den das  Sagen Habenden abhängt. Kurz, sie lernen über „Integration“.

Und was ist mit den älteren Zuschauern? Keine Sorge, sie lernen auch. Zuerst etwas Arabisch, etwas über Philo-ksenophobie und eigene  Denkmuster. Später erfahren sie nicht wenig über die eigene Verlogenheit  und die ihrer Welt, und darüber, dass auch in Momenten des guten  Willens auf beiden Seiten nicht gleich sofort alles nur noch gut laufen  kann. Vor allem, gemachte und erprobte fertige Lösungen liegen nicht auf  der Straße und daran zu arbeiten wird oft aus Faulheit oder Faulheit  verschoben. Lieber gibt man das Entscheiden an andere weiter ab, auch  wenn man ihre Lösungen nicht gelungen findet. Aber lieber alles abgeben,  sei es auch an Thilo Sarazzin, als sich selbst mit ungeliebten  Problemen herumzuschlagen. Lieber dumme Antworten, schnelle grausame  Erledigung der Sache und endlich wieder Ruhe haben. Wozu selber mühsam  schuften, Neues ausprobieren, Unbequemes in Kauf nehmen? Was wird man  schon davon haben?

Man  kann dem Deutschen Theater zu der Idee des Jungen DT gratulieren und  Daumen drücken, dass es noch viele so gelungene Projekte dieser Art  geben wird. Sie machen nicht nur dem sozialem Engagement des DT die  Ehre, sie zeigen auch den Intellektuellen, wie inspirierend für die  Gesellschaft eine Theaterarbeit sein kann und sie geben eine starke  Antwort auf die immer wieder gestellte Frage, ob in den heutigen Zeiten  das Theater über das Amüsement hinaus noch zu einem anderen Zweck dienen  kann. Das DT beweist auch den  Mut, auf die Bühne, auf der  üblicherweise die größten Theaterstars Deutschlands stehen, jugendliche  Laien zu holen, die aus Improvisationen und eigenen Erfahrungen ein  selbst gemachtes, sich an den alten Science-Fiction-Film „Planet der  Affen“ orientiertes Stück zusammenbasteln. Und das geht wirklich gut.  Natürlich einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass man die  Jugendliche keinesfalls „nur einfach so“ machen lässt, sondern dass sie  unter der Leitung eines sehr kompetenten Teams von Profis, allen voran  des türkischstämmigen deutschen Theaterregisseurs Nurkan Erpulat  arbeiten. Und es ist bewundernswert und erstaunlich, dass Erpulat in dem  so hartem Theaterbetrieb nicht alle seine Kräfte auf das weitere  Vorantreiben seiner Karriere konzentriert, sondern Zeit und Lust findet,  sein Inszenierungstalent in die Arbeit mit den Schülern zu stecken. Hat  dies vielleicht etwas mit seiner „Integration“ zu tun, als der Stärkere  und Erfolgreichere Schwächeren, Jüngeren, weniger Erfahrenen oder  Privilegierten die Hand zu reichen und sie ins Boot zu holen?

Gelungene  und nicht verlogene Integration, Nachhaltigkeit, Perspektiven für junge  Leute, auch junge „Bio-Deutsche“ – dies sind nur einige Stichworte, die  die Gewinne dieses Abends beschreiben, weitere lassen sich aufzählen.  Im Stück gibt es auch feste Anhaltspunkte, dass auch die Integration von  Thilo Sarazzin in diese Welt keinesfalls unmöglich ist. Er müsste sich  nur in sie hineinwagen. Und, wenn es von ihm zuviel verlangt ist,  vielleicht nur ein Tipp: Auseinandersetzungen – abwechselnd aus Reden  und Zuhören bestehend – und manchmal dazu gehörender Streit erfordern,  dass sich die beiden Seiten auf Augenhöhe betrachten. Maßloses  Übertreiben und Überfallen der Schwächeren kann keine Lösung für die  Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sein. Die Schüler scheinen es schon  erkannt zu haben.

Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 75